ZUKUNFTSSINNSPRÜCHE

ZUKUNFTSSINNSPRÜCHE

Arredamento Mimarlık, 2018
Alper Derinboğaz, Msc. Architect; Salon

The future is already here – it’s just not very evenly distributed 1 .
William Gibson

Gibson zufolge wird das Denken und Produzieren für die Zukunft hauptsächlich mit der Science Fiction Literatur in Verbindung gebracht.

Es ist jedoch eigentlich eine Frage der Gegenwart. Es hat vielleicht sogar mehr mit der Vergangenheit zu tun. Die Vergangenheit zu kennen und den letzten Innovationen zu folgen heißt jedoch nicht, dass wir die Zukunft genau vorhersagen können. Menschen und Produkte können schneller als je zuvor in die ganze Welt hinaus gehen. Der Zugang zur Information ist in den meisten Fällen nur durch die Geschwindigkeit der Internetverbindung beschränkt. Wir haben den einschichtigen Informationsfluss mit einem vielschichtigen Erlebnisfluss ersetzt. Unsere Stimmen und unsere Laute können überall dahin, wo und wie wir es gerne wollen. Mit anderen Worten, das Konzept des Raumes und der Zeit verschiebt sich oder verbiegt sich sogar. Einer Umfrage zufolge haben wir allein im Jahre 2017 mehr Daten als in der gesamten Geschichte der Menschheit produziert. Die Menge des technischen Wissens, das entwickelt wurde, verdoppelt sich alle neun Jahre. Die einzige Sache, derer wir uns in dieser zunehmend beschleunigten Zeit – manchmal wird sie auch ‘exponentiell’ genannt – sicher sind, dass der Wandel konstant ist und er voranschreiten wird, sowie auch die Wissensgeneration, Erfindungen, Reisen und natürlich auch Ungleichheit.

Digitale Währungen haben die Bedeutung der Nationen, so wie wir sie kennen, komplett verändert. Nationalwährungen, grob gesagt, sind fast schon die Abstraktion der gesetzlichen und wirtschaftlichen Werte, an die Gesellschaften glauben und denen sie vertrauen. Aber zum ersten Mal in der Geschichte sind digitale Währungen glaubwürdiger als echte Währungen, die das physische Vermögen einer jeden Nation darstellen. Mit anderen Worten vertrauen wir digitalen Gemeinden in der virtuellen Welt mehr als staatlichen Strukturen. Obwohl wir es uns nicht vorstellen können, wie sich alles entwickeln wird, ist dies der Beginn eines neuen Zeitalters. In Anbetracht des urbanen Gefüges, des historischen und kulturellen Erbes, das wir zu schützen versuchen, ist es fast unmöglich, es als Ganzes zu bewahren, aber digitale Bilder werden für immer in der ‘Cloud’ bleiben.

Relativ betrachtet, ändert sich die Vorstellung des ‘Flaneurs’ als poetischer Entdecker von Städten radikal. Das Konzept, das die moderne Urbanistik definierte und das urbane Erlebnis formte, wurde durch ‘digitale Flaneure’ ersetzt. Die Grenze zwischen der Arbeit und dem Zuhause, die als Folge der industriellen Revolution in unsere Leben gefunden hat, ist zunehmend verschwommen. Der digitale Flaneur zieht es vor, sich in ein Erlebnisfluss zu begeben, in der Hoffnung, sich von diesen zu befreien, einschließlich von Zuhause, der Arbeit und der Stadt. Vielleicht ist es verlockend, uns dem Fluss aufgrund der Geschwindigkeit des Wandels und unseren kritischen Gedanken über das Umfeld und Stereotypen hinzugeben. Wir betrachten es als eine Möglichkeit, anders zu sein und ’Personas’ zu fiktionalisieren, die wir in unserem “echten” Leben nicht haben können. Indem wir das tun, werden wir alle zu Arbeitern digitaler Plattformen. Die Zeit, die wir für das Erkunden und Neuheiten erübrigen, ist eine Art Medienarbeit geworden. Jetzt gibt es keine Trennung vom Zuhause und der Arbeit. Heute kann jeder Ort, wo immer unser Smartphone ist, oder sogar unser Schlafzimmer zum Büro werden. Die Zeit, die wir kollektiv auf irgendeiner populären Internetplattform verbringen, ist länger als unsere gesamte Geschichte. Vor dem Beginn des ‘Informationszeitalters’ sahen wir diese experimentellen Städte in dystopischen Projekten von Superstudio. Der ausdrucksstärkste dieser war ‘Infinite Monument’ (Monuments Continue), wo wir alle, wie in dieser Welt, durch einen neutralen Draht von immens repetitiv Gittersystemen verbunden sind.

Diese monotone Wiederholung hat nicht nur mit der digitalen Welt zu tun. Es muss sich um etwas handeln, dass über technische Entwicklungen hinausgeht. In Anbetracht heutiger Städte spiegeln ‘megalopolis’ wie z.B. Shanghai, Istanbul oder Mumbai diese endlose Expansion und Monotonie wider. Wir sind Zeuge des Austausches numerischer und virtueller Werte der Wirtschaft in Immobilien mit verschiedenen Paketen. Jeder Bereich entspricht einem bestimmten Betrag, und den Umständen entsprechend ändert sich der Multiplikator dieses Wertes. Leider wird die räumliche Qualität dadurch überhaupt nicht in Mitleidenschaft gezogen, weil es weniger wichtig bleibt, unseren Bedürfnissen zu reagieren oder unsere Leben zu bereichern, als dass es einfach monetisiert werden kann. Diese Eigenschaften werden dann in Hypotheken und Darlehen, neue Konstruktionen verwandelt, die sich in einen nicht endenden Verbrauch von Raum verwandelt.

Vielleicht wollte das Architekturstudio Diller Scofidio + Benfro mit ihrem Gebäude “Blur” über diese Realität spekulieren. Sie wollten uns auf eine extrem verschwommene und graue Welt in den Städten vorbereiten, die schwarz-weiß sind und wo alle Grenzen geteilt, fortlaufend und standardisiert sind.

Allerdings kann es irreführend sein, wenn man diese Bewegung nur als Anstieg in der Anzahl der Häuser und Büros betrachtet. Zur gleichen Zeit leben wir in einer Welt, wo das ‘Haus’ kleiner und verstreuter in der Stadt² wird. Wir leben in Städten, wo Restaurants Küchen ersetzt haben, Wohnzimmer durch Coffee Shops und das Schlafzimmer durch “Liebeshotels” ausgeglichen werden, d.h. alles ist miteinander verknüpft. Es gibt jedoch auch einzigartige Möglichkeiten für Individuen, zusammenzukommen und noch näher zu kommen. Zwischenformen wie z.B. Co-Working und Co-Living schaffen Möglichkeiten zum kollektiven Nutzen, indem sie Grenzen zwischen Institutionen oder sogar Familien im Sinne des Wohnsitzes überschreiten.

Insgesamt könnten wir jedoch zweifellos all diese gefährlichen Umstände überwinden, die Städte verbrauchen. Das bedeutet auch, dass heutzutage systematisch beschleunigte Ideen und sich entwickelnde Systeme mehr wertgeschätzt werden als das absolute Monopol.

Wir leben in einer Zeit, in der das Kleine ganz schnell wachsen kann und das Lernen wichtiger ist als Bildung. Daher ist es trotz der asymmetrischen Ungleichung auch möglich, eine „asymmetrische Güte“ zu schaffen. Stadtmenschen können für gemeinsame Sachen, Vorhaben und Zwecke leichter zusammenkommen als je zuvor. Falls Ihr Netzwerk ihrem Nettowert gleicht, können Sie Ihr Netzwerk verwenden, um Geld für einen guten Zweck zu sammeln. Gemeinschaften, die für ein gemeinsames Ziel zusammenkommen, können aktiv an der Institutionalisierung und Spendensammlung teilnehmen, für wichtige Themen zusammenarbeiten wie z.B. der Entwicklung von kultureller Infrastruktur oder dem Naturschutz. Durch den Gebrauch digitaler Plattformen können in Städten ähnliche Bedürfnisse und Bitten festgestellt werden und dann können die Ressourcen zum Wohl der Gemeinschaft genutzt werden. Zum Beispiel ist die Fußgängerbrücke Luchtsingel eines der frühesten Beispiele für Crowdfunding-Projekte. Die 400 Meter lange Fußgängerbrücke, die drei verschiedene Teile der Stadt verbindet, wurde dank der Spenden der Einheimischen mittels einer virtuellen Plattform finanziert, nachdem sie durch Eingriffe wie z.B. der Autobahn den Kontakt verloren hatten. Die daraufhin eingerichtete Stiftung arbeitet immer noch im Bereich Entwicklung des urbanen Umfeldes.

Ebenso können Menschen, die nicht den stereotypischen Ansatz des Wohnens oder Arbeitens durchleben möchten, gemeinsam neue Formate erschaffen³. Vielleicht können wir dann über bessere und alternative Zukunftsszenarien sprechen. Abgesehen davon, gab es alles schon. Wenn es eine Innovation gibt, die noch nicht gebaut wurde, können wir davon ausgehen, dass sie in den nächsten fünf Jahren erfunden wird.

Innovation, zumindest unserem Verständnis nach, war nicht immer zugunsten der Menschheit. Der Grund für den Anstieg des Wohlfahrtsgrades ist nicht die Umsetzung von Massenproduktion oder Entwicklung von beweglichen Maschinen. Technologische Entwicklungen allein sind unbedeutend. Was sie für die Zukunft bedeutsam macht, ist deren Gebrauchsabsicht und Anpassung an unser Leben. In diesem Kontext denke ich, dass unsere Zukunftsprognosen implizit darin bestehen, diese Innovationen für unsere Zwecke gestalten. Die Technologie entwickelt sich schnell, humanitäre Ziele sind allerdings noch unreif. Ich hoffe deswegen von ganzem Herzen, dass die wahrhaftige Innovation den Kompromiss gleicher Räume verfolgt, wo jeder etwas von den Innovationen in den Städten abbekommt.

Notes:
1 “The Future Is Already Here – It’s Just Not Very Evenly Distributed.”: interview with William Gibson , Fresh Air, NPR, 31 August 1993.
2 Luca Molinari: The Homes That We Are, Nottetempo, 2017. Translation: Jennifer Knaeble
3 Joi Ito, Jeff Howe, Whiplash: How to Survive Our Faster Future, Grand Central Publishing, New York, 2016, p. 26.

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